Zufallserfindungen sind seltener, als man glaubt. Die weitaus größere
Zahl beruht auf der Forschungsarbeit, die andere - vielfach Namenlose -
zuvor geleistet haben. Auf dieser Grundlage kann der Erfinder einen Schritt
vorwärts, einen Schritt ins Unbekannte, tun, indem er gegebene physikalische
und technische Erkenntnisse zu noch nie unternommenen Versuchen verknüpft
und so etwas Neues erfindet. Wäre in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts das Phänomen des Elektromagnetismus nicht schon weitgehend
bekannt gewesen, hätte die Elektroakustik damals noch nicht entdeckt
werden können. So aber waren für Johann Philipp Reis und Alexander
Graham Bell alle Voraussetzungen gegeben, das Telefon zu erfinden.
Der Hesse Reis,
am 7. Januar 1834 in Gelnhausen geboren, hatte schon als Achtzehnjähriger
mit Versuchen begonnen, bei denen er von dem Schreibtelegraphen ausging,
den 1837 der Amerikaner Samuel Morse erfunden hatte. Reis vermutete, dass
es möglich sein müsse, Wörter nicht nur durch die Morsezeichen,
sondern durch die menschliche Stimme selbst übertragen zu können.
Er experimentierte 10 Jahre lang, ehe er am 26. Oktober 1861 dem Physikalischen
Verein in Frankfurt am Main sein Telefon vorführen konnte. Er verwendete
einen Resonanzkasten mit einer Membran aus Schweinedarm, die von den Schallwellen
in Schwingungen versetzt wurde und die Stromquelle steuerte. Ein ähnliches
Gerät diente der Wiedergabe. So konnte er zunächst Instrumentalmusik
und menschliche Stimmen über 100 Meter Entfernung übertragen.
Ein wesentlich verbesserter Apparat erhielt 1864 von der Deutschen Naturforscherversammlung
in Gießen großes Lob, aber es fand sich niemand bereit, den
Erfinder zu unterstützen; die Zeitgenossen waren für diesen Fortschritt
blind. So starb Reis einsam und vergessen am 14. Januar 1834 in Friedrichsdorf
bei Bad Homburg.
Alexander Graham Bell wurde am 3. März 1847 in Edinburgh geboren.
Er studierte dort und in Würzburg, wo er den Apparat von Reis kennen
lernte, und wurde, wie sein Vater, Sprech- und Taubstummenlehrer in London.
Zwei seiner Brüder starben an Tuberkulose, und 1870 zeigten sich auch
bei ihm die ersten Symptome dieser Krankheit. Deshalb entschloss sich
die Familie, in das gesündere Klima Kanadas auszuwandern.
Graham gesundete und wurde 1872 Leiter der Taubstummenanstalt in Boston,
wo er sich bemühte, den Gehörlosen und ihren Lehrern die Zeichensprache
nach einem von seinem Vater erdachten System beizubringen. 1872 wurde er
als Professor für Stimmphysiologie an die Rednerschule der Universität
Boston berufen. Einige Jahre danach heiratete er ein taubstummes Mädchen,
dem er Unterricht gegeben hatte.
Immer bemüht, seinen Taubstummen zu helfen, studierte er ein Werk
des deutschen Physikers Helmholtz. Dabei erfuhr er, dass es diesem
gelungen sei, eine Stimmgabel mittels eines Elektromagneten zum Schwingen
zu bringen. Er wiederholte dieses Experiment, indem er dicht neben einem
Leitungsdraht eine Stimmgabel so befestigte, dass sie bei jeder Schwingung
kurz den Draht berührte und damit einen Stromkreis schloss. Der
Rhythmus der Stromstöße, die in dem Draht flossen, entsprach
somit genau der Eigenfrequenz der Stimmgabel. Als nächsten Schritt
befestigte er in einem Nebenzimmer eine Stimmgabel gleicher Schwingungszahl
dicht neben einem Elektromagneten, den er an den Stromkreis anschloss.
Und schon begann die sekundäre Stimmgabel im Rhythmus der Stromstöße
zu schwingen. Als er die Anordnung um mehrere Stimmgabeln erweiterte, zeigte
sich das gleiche Phänomen. Es war also möglich, Tonschwingungen
telegraphisch zu übertragen.
In einem
späteren Experiment verwendete er anstelle der Stimmgabeln die Zungen
von Orgelpfeifen, kleine elastische Stahllamellen, die er überdies
magnetisierte. Dadurch mussten sie beim Schwingen im Elektromagneten
Induktionsströme hervorrufen. Da begann eines Tages - es war der 2.
Juni 1875 - eine der Lamellen plötzlich laut zu tönen (ein Vorgang
übrigens, den wir heute von jedem Summer kennen). Und die entsprechende
Lamelle im Zimmer, wo Bell arbeitete, tönte mit.
Aufgeschreckt stürzte er in den Raum seines Assistenten Watson,
um festzustellen, was geschehen war. Bald erkannte er: Wenn es gelingt,
eine Lamelle (oder besser: eine Membran) durch
die menschliche Stimme zum Schwingen zu bringen, lässt sich die
Schwingung elektromagnetisch über einen Draht übertragen. Und
das gelang ihm schon am nächsten Tag, einstweilen noch mit verzerrten
Tönen. Aber schon am 10. März 1876 war der Apparat so perfekt,
dass er die erste Nachricht telephonisch klar übermittelte:
Beil hatte Säure verschüttet, und er rief in der Aufregung,
bei eingeschaltetem Telefon: "Watson, kommen Sie her, ich brauche Sie!"
Und Watson erschien.
Im selben Jahr noch baute Beil seinen Apparat auf der Weltausstellung
in Philadelphia auf. Die Preisrichter waren nicht interessiert, sie wurden
erst munter, als Dom Pedro, der Kaiser von Brasilien, an Bells Stand laut
ausrief: "Mein Gott, es spricht!" Von Stund an eroberte Bells Telefon
die Welt. Ende August 1876 waren in New York bereits 778 Apparate installiert,
und die Nachfrage stieg so schnell, dass die "Beil Telefone Company"
nur unter Schwierigkeiten nachkam. Anders als der unglückselige Reis
erlebte Beil seinen Triumph, ehe er am 1. August 1922 starb.