Die Lebensgeschichte des Gautama Buddha, des Schöpfers der Weitreligion
des Buddhismus, liest sich wie ein Märchen: Dem Fürsten Suddhodana
aus dem Geschlecht der Sakyas aus dem Gangestal am Fuß des Himalaja
in Indien wurde um das Jahr 56o v.Chr. von seiner schönen Frau Maya
ein Sohn geboren. Sie nannten ihn Siddharta Gautama. Der Prinz schien seinem
Namen Ehre zu machen. Siddharta heißt wörtlich "Der das Ziel
erreicht hat". Der Prinz wuchs reich, verwöhnt, klug und glücklich
auf.
Mit 16 Jahren verliebte sich Prinz Siddharta in die Sakyas-Prinzessin
Rahuanada. Er heiratete sie ein Jahr später, nachdem sie ihm einen
Sohn, Prinz Rahula, geboren hatte. Siddharta nahm zu an Weisheit. Es fehlte
ihm nicht an irdischen Glücksgütern. Er liebte seine Prinzessin
wie am ersten Tag und führte eine glückliche Ehe.
Hier endet das Märchen und beginnt die Wirklichkeit. Prinz Siddharta
erlebte mit 29 Jahren eine seelische Krise, die zu einer inneren Wandlung
führte. Bei vier Ausfahrten aus dem Palast begegnete er nacheinander
einem Greis, einem Kranken, einem Toten und einem Asketen. Diese Begegnungen
lösten bei ihm die Frage nach dem Sinn des Lebens aus.
Des bisherigen Lebens überdrüssig, angeekelt vom Nichtstun
und Schlemmer-Dasein, verläßt er heimlich den Palast und damit
Frau und Kind, schert sich Bart und Haare, zieht ein gelbes Büßergewand
an und begibt sich in die "Hablosigkeit". Zwei Einsiedler, Atara Kalama
und Odraka Ramaputra, wurden seine Vorbilder und Lehrer. Wie sie wollte
er durch Meditation, Fasten und Kasteiung zur erlösenden Erkenntnis
in der Frage nach dem Sinn des Lebens kommen.
Nach sieben Jahren und sieben Tagen geschieht, wie die buddhistische
Überlieferung berichtet, etwas Merkwürdiges. Auf einer Wanderung
durch Uruvela nahe Patna macht Siddharta Rast unter einem Feigenbaum. Ehe
er sich niederlegt, geht er siebenmal um dessen Stamm und schwört
sich selbst: "Möge meine Haut schrumpfen und meine Hand verdorren,
mögen meine Gebeine sich auflösen - solange ich nicht die letzte
Erkenntnis gefunden habe, werde ich mich nicht von der Stelle rühren!"
Dann fällt er in eine ekstatische Ohnmacht.
Als er erwacht, ist die Wandlung vollendet. Der Feigenbaum ist zum
Bodhi-Baum geworden, zum Baum der Erkenntnis. Und aus Prinz Siddharta ist
Buddha geworden, der "Erkennende", der "Erleuchtete". Dieses Erlebnis gilt
als die Geburtsstunde des Buddhismus.
Von diesem Tag an trat Buddha im gelben Mönchsgewand als Wanderprediger
auf. Er durchzog das indische Land Magadha, sammelte Jünger um sich,
sprach zum Volk und mit dem Volk und gründete Mönchs- und Nonnenorden,
die nach seinen Regeln lebten: in Armut und Keuschheit. Nach 40 Jahren
als Wanderprediger soll er, 80 Jahre alt, um das Jahr 480 v.Chr. in einem
Hain bei der Stadt Kasinagara gestorben sein. Sein Leichnam wurde verbrannt,
die Asche verteilt. Aus diesem Grund gibt es überall im Land Reliquienhügel
des Buddha.
Die Lehre Buddhas, der Buddhismus, ist ihrem Ursprung nach keine Religion,
sondern eine Philosophie, das heißt wörtlich: Weisheitsliebe,
das Streben nach Erkenntnis. Erst seine Nachfolger haben aus dem Buddhismus
eine Religion gemacht.
Der Buddhismus ist eine Lehre, die dem indischen Brahmanismus entgegengesetzt
ist. Er kennt keinen Gott, keine Seele, kein ewiges Sein, keine Wiedergeburt,
keine Kasten und keine sozialen Unterschiede. Er ist das Suchen nach Erlösung,
das Suchen nach der inneren Ruhe des Menschen.
Die Weisheit Buddhas ("Das Rad der Lehre") ist die Erkenntnis: "Wir
tragen den Schlüssel zur Glückseligkeit in uns selbst." Diese
Lehre verkündete Buddha wenige Tage nach seiner Erleuchtung in der
berühmten "Predigt von Benares." Sie besteht aus den "Vier heiligen
Wahrheiten":
1. Das Leiden: Alles Leben ist Leiden.
2. Die Entstehung des Leidens: Leiden entsteht durch Durst, das Verlangen nach Lust. Dieser Durst verstrickt das Wesen in die Seelenwanderung.
3 Die Aufhebung des Leidens: Das Leiden wird aufgehoben durch die Aufhebung des Durstes nach Lust, die Überwindung des Begehrens.
4. Der Weg zur Aufhebung des Leidens: Er besteht aus dem "achtgliedrigen
Pfad":
rechtes Glauben, rechtes Entschließen, rechtes Wort, rechte Tat,
rechtes Leben, rechtes Streben, rechte Gedanken, rechtes Sich-Versenken.
Das letzte und höchste Ziel dieser heiligen Wahrheiten des Buddhismus
und allen geistigen Trachtens ist es, des "Werdens End´ und Ruh'
zu finden", das "Nirwana", das "Erlöschen." Ob das Nirwana noch Sein
oder das absolute Nichtsein ist, hat Buddha nicht gesagt. Es ist die Befreiung
von der Wiedergeburt (des Brahmanismus) und seiner Seelenwanderung. Es
ist das Aufhören allen Leidens. Der Weg zum Nirwana führt über
"Rechtschaffenheit, Sich-Versenken und Weisheit"
Die Gemeinde Buddhas war ein Mönchsorden, zu dem auch Laien Zugang
hatten, denn nur ein Mönch kann das Ziel Nirwana erreichen. Gottesdienste
sind unbekannt, weil kein Gott angebetet wird. Es gibt nur Versammlungen,
in denen die Lebensführung des einzelnen geprüft wird.
Die Lehre des Buddhismus schreibt fünf Ordnungen oder Gebote vor.
Der Buddhist soll nicht töten, nicht stehlen, nicht ehebrechen, nicht
lügen und keinen Alkohol trinken.
Der Kanon der heiligen Schriften Buddhas besteht aus drei "Körben"
("Piteka"):
1. Vinaja = Korb der Ordensregeln: Texte der Ordensdisziplin;
2. Sutta = Korb der Lehrreden: Predigten Buddhas;
3. Abhidarma = Korb der Dogmatik: die Dogmen und die Philosophie.
Im Lauf der Jahrhunderte machte der Buddhismus zahlreiche
Wandlungen durch. Es entwickelten sich im wesentlichen zwei Richtungen:
"Das kleine Fahrzeug" (Hinajana) und "Das große Fahrzeug" (Mahajana).
Die Namen der beiden Richtungen stammen von einer bildlichen Vorstellung:
Die Welt gleicht einem brennenden Haus. Wer nur auf seine eigene Rettung
bedacht ist, dem genügt ein "kleines Fahrzeug", das ein Reh oder eine
Ziege ziehen kann. Wer dagegen auch andere retten will, braucht ein "großes
Fahrzeug", das ein Ochse zieht.
Die Anhänger beider Richtungen haben einander in der Vergangenheit
zum Teil heftig bekämpft. Am Ende setzte sich die Schule des "großen
Fahrzeugs" durch. Das Mahajana machte den Buddhismus zur Weltreligion.
Sein Kernsatz heißt:
"Alles ist nichtig."
Das Mahajana sieht sich als Vervollkommnung des "kleinen Fahrzeugs"
durch praktische Menschlichkeit. Hier zeigen sich Parallelen zum späteren
Christentum: Liebe und Barmherzigkeit tragen die Leiden anderer. Der einzelne
kann durch sein Leiden die Erlösung anderer erwirken. An die Stelle
der Selbsterlösung Buddhas ist die Erlösungsreligion des Buddhismus
getreten.
In seinem Geburtsland Indien ist der Buddhismus schon im 13. Jahrhundert
erloschen. Er vermochte sich nicht gegen das Kastensystem und die Lehre
von der Seelenwanderung des Brahmanismus durchzusetzen und
wurde zur Religion des Fernen Ostens.
Nach den Christen (rund 200 Kirchen mit etwa 1,1 Milliarden Gläubigen)
und den Mohammedanern (etwa 500 Millionen) bilden die Buddhisten mit rund
300 Millionen die drittgrößte Religionsgemeinschaft der Welt.
Es ist unmöglich, die genaue Zahl der Anhänger Buddhas anzugeben,
denn es gibt zu viele Formen und Sekten des Buddhismus, und ein Gläubiger
in Ostasien kann gleichzeitig Buddhist und Konfuzianer oder Buddhist und
Schintoist sein.
90 Prozent der Buddhisten leben in Asien. Der Hinajana-Buddhismus ist
heute hauptsächlich in Thailand, Birma, Kambodscha und Ceylon vertreten,
der Mahajana-Buddhismus lebt noch in China und Japan, Nepal und Korea,
außerdem in der Sonderform des Lamaismus in einigen Himalajastaaten.
Nach Japan kam der Buddhismus über China und Korea. Er wurde japanisiert.
Seine Schulen sind heute das "Zen", das geistige Selbstentäußerung
lehrt, und das "Schin", mit dem Ziel der Erlösung durch Vertrauen
auf Gnade. Die Meditationen der japanischen Mönche haben ihre Wurzeln
in den Regeln des atheistischen Buddhismus. Aber auch die Zen-Anhänger
bekennen sich nur noch selten zu Buddha. So sagt der Zen-Meister Huan Po:
"Was Buddha lehrt, hat nur das Ziel, des Denkens Raum zu überqueren;
ist still geworden der Gedanken Spiel, wird stiller auch des Buddhas Lehre."
In Europa hat der Buddhismus nie eine besondere Rolle gespielt, obwohl
sich schon in den zwanziger Jahren buddhistische Glaubensgemeinschaften
bildeten, die in den Hauptstädten ihre Tempel bauten. Unbestreitbar
ist indessen der Einfluß fernöstlicher Denkweisen auf Literatur
und Philosophie. Der Philosoph Arthur Schopenhauer beispielsweise hielt
einen Teil seiner umfassenden Philosophie für "nahezu identisch mit
der Erlösungslehre Buddhas ".