Eine englische Idylle aus dem 19. Jahrhundert in Down bei Beckenham,
Grafschaft Kent, nahe London: In einem anmutigen Landhaus, erworben
1842, mit reizvoller Umgebung, lebt die angesehene und begüterte Familie
Dr. Charles Darwin in glücklicher Harmonie. Der Hausherr, liebenswürdig
und allseits geachtet, ist Privatgelehrter, Biologe, Gärtner und Landwirt.
Schon sein Großvater Erasmus war Naturforscher, Arzt und wegen
seiner Gedichte, in denen er Wissenschaft und Poesie verband, bei einem
breiten Publikum geschätzt. Mit seinen progressiven Ideen allerdings,
z. B. von der Entwicklung aller Warmblüter aus einem lebenden Keim,
mochte man ihn - 1794- nicht ganz ernst nehmen. Ein bekannter Arzt war
auch der Vater, dem der Sohn Charles, geboren am 12. Februar 1809, allerdings
zu einiger Sorge Anlass gab: intelligent zwar, aber recht lustlos
in der Schule und später auch zum Studium der Medizin.
Dann also, so verfügte der Vater, möge er es mit Theologie
versuchen - in Gottes Namen gewissermaßen und weil er jedenfalls
an die Dogmen der anglikanischen Kirche glaubte. Schließlich widmete
sich Charles dann doch stärker den Naturwissenschaften und beschloss
seine Studien 1831 in Cambridge. Sodann nahm er an einer wissenschaftlichen
Forschungsreise nach Südamerika teil. Mit dem Segelschiff "Beagle"
war er von 1831 bis 1836 unterwegs. Von überall her brachte
er wissenschaftliche Beobachtungen, vor allem aber reiche Fossiliensammlungen
mit.
Dies alles wurde nun in der ländlichen Stille von Down aufgearbeitet
und fleißig publiziert. Darwin befasste sich mit der Befruchtung
von Orchideen durch Insekten, er wies den Einfluss nach, den die Erdwürmer
auf die Fruchtbarkeit des Bodens haben, berichtete über die Bildung
von Atollen.
Der milde Schein dieser beschaulichen Gelehrten-Idylle trügt indes.
Immer wieder kehrte Darwin zu einer Frage zurück, die sein biologisches
Weltbild beunruhigte. Die Antwort, die er vorbereitete, sollte bald eine
Detonation der wissenschaftlichen und der gesamten öffentlichen Meinung
auslösen, die bis in unsere Tage nachhallt.
Nach herrschender wissenschaftlicher, vor allem aber kirchlicher Lehre
waren alle Formen des Lebens, Pflanzen, Tiere, der Mensch, unabhängig
voneinander entstanden, individuelle, unveränderliche Schöpfungen
von Anfang an. Waren aber zum Beispiel Käfer voll ausgewachsen oder
als Larven geschaffen worden? Wie sollte man sich Züchtungsergebnisse
bei Pflanzen und Tieren erklären? Wie verhielt es sich mit den Ähnlichkeiten
zwischen den heute noch lebenden kleinen Ameisenbären und einer ausgestorbenen
Tierart in der Größe eines Pferdes, von der Darwin bei seiner
Reise einen fossilen Schädel gefunden hatte? Warum starben überhaupt
ganze Tierarten aus?
Darwin war nicht der erste, den die Frage beschäftigte, ob nicht
Entwicklung und Veränderlichkeit die wesentlichen Kennzeichen des
Lebendigen seien.
Aber alle bisher zum Teil nur vage vorgebrachten Thesen hatten bei
den Zeitgenossen keinen Widerhall gefunden. Bei Darwin selbst sprang der
auslösende Funke über, als er, mehr zufällig, eine Publikation
des englischen Nationalökonomen Thomas Malthus (1766 bis 1834) las.
Malthus vertrat darin die Meinung, die Menschen würden irgendwann
die Erde überfluten, wenn ihrem Zuwachs nicht durch Hunger, Krankheit
und Krieg Einhalt geboten werde. Das war es, was der Biologe Darwin nun
erkannte: der Daseinskampf selbst hatte als Auswahlprinzip zu gelten. "Auf
einmal", so notierte er, "wurde mir klar, dass unter diesen Umständen
bevorzugte Arten alle Voraussetzungen mitbringen, erhalten zu werden, benachteiligte
Arten dagegen ausgerottet werden." Überleben, heißt es dazu
bei dem englischen Naturphilosophen Spencer, wird der, der am besten in
seine Umwelt passt.
Darwin hatte Grundgesetze der biologischen Entwicklung, der "Evolution",
gefunden. Danach haben sich alle Lebewesen im Laufe von Millionen von Jahren
aus einfachsten Urformen entwickelt, ihre Organe immer weiter verfeinert,
wobei es - wie man später entdeckte - immer wieder "Mutationen", zufällige,
sprunghafte und richtungslose Änderungen der Erbmerkmale, gab, so
dass immer neue, eigenständige Arten entstanden -bis hin zum
Menschen, der, auf eine ferne Zukunft gesehen, keineswegs den Höhe-und
Schlusspunkt der Entwicklung bilden muss.
Darwin war sich der Tragweite seiner Erkenntnisse bewusst. Aber
er war kein Aufrührer, behielt wie Kopernikus seine Beobachtungen
lange für sich. Zu einer Veröffentlichung entschloss er
sich erst, als ihm ein Fachkollege, Alfred Wallace, sein Manuskript vorlegte,
in dem er ganz ähnliche Auffassungen vertrat.
Aber immer noch war er vorsichtig. Der Schluss-Satz seines 1859
erschienenen Werkes "Über die Entstehung der Arten" lautet: "Viel
Licht wird auf den Ursprung des Menschen und seine Geschichte geworfen
werden." Das war schon deutlich genug. Höchste kirchliche und wissenschaftliche
Autoritäten empörten sich. Der Schimpanse als Urahn des Menschen:
das mußte die "Krone der Schöpfung" als Provokation
ihres Selbstbewusstseins empfinden. Aber die Darwinsche Lehre
verbreitete sich rasch. Sie fand noch zu seinen Lebzeiten - er starb am
19. April 1882 - zunehmend Befürworter, und bis heute werden in der
Biologie Stück um Stück weitere Nachweise für die Richtigkeit
seiner Theorien geführt.