Man schrieb das Jahr 1929. In seinem Laboratorium hatte der englische
Wissenschaftler Professor Dr. Fleming, der sich wie Robert Koch mit der
Erforschung von Bakterien befasste, in einer Reihe von flachen Schalen
Eiterbakterien zur Untersuchung herangezüchtet. Das Nährsubstrat
bestand aus Gelatine. Es wurde aus der Meeresalge Agar gewonnen, und es
gab tatsächlich kein besseres. Wichtig war nur, dass man den
Bakterien-Boden vor der Verunreinigung durch andere Keime bewahrte. Fleming
war in dieser Hinsicht sehr sorgfältig und hatte alle nur denkbaren
Einfallstore für das Eindringen von Fremdkörpern verschlossen.
Und doch war es eines Tages den Sporen des Pinselschimmels Penicillium
notatum gelungen, sich in einer Schale anzusiedeln, Kolonien zu bilden
und vom Rande her die Bakterienkultur mit ihrem Geflecht und ihren Fruchtkörpern
zu überziehen. Die so mühsam steril gehaltene Kultur war damit
unbrauchbar geworden. Verärgert stellte Fleming sie zunächst
beiseite, um sie später zu vernichten. Als es soweit war, kam ihm,
er wusste selbst nicht, warum, der Gedanke, den durch den Pilz verunreinigten
Nährboden zu untersuchen, um festzustellen, was es mit dem Schimmelpilz
auf sich hatte.
Pinselschimmel ist eine Gattung von Schlauchpilzen, die Brot, eingekochte
Früchte und Fleischwaren oft mit einer blaugrünen Decke überzieht.
Bringt man davon ein wenig unter das Mikroskop, so sieht man ein Fadengeflecht,
aus dem sich Zweige erheben, die Pinseln ähneln. Sie teilen sich an
ihren Enden wiederholt, und die Pinsel schnüren blaugrüne Fadensporen
ab. Da die Sporen leicht verweht werden und es nirgends an Nahrung für
den Pilz fehlt, ist er über die ganze Erde verbreitet. Zuweilen erzeugt
er auch Schlauchsporen. Zu dieser Gattung gehört Penicillium notatum.
Fleming machte
nun folgende aufregende Entdeckung: Wo Penicillium notatum mit den in der
Schalevorhandenen Kulturen von Bakterien, Eitererregern übelster Art,
zusammengeraten war, hörten diese auf, sich zu vermehren, ja, sie
verkümmerten zu Millionen. Fortan stand die "verdorbene" Schale im
Mittelpunkt des Flemingschen Laboratoriums. Er entdeckte über dem
Studium des bakterienfeindlichen Schimmelpilzes auch noch andere interessante
Einzelheiten: Bakterienvernichtend oder Bakterienhemmend war nicht der
Pilz selbst, sondern ein Wirkstoff, den der Schimmelpilz absonderte. Er
nannte ihn "Penicillin" und veröffentlichte seine Beobachtungen in
der Fachpresse. Aber obwohl damit eine grandiose Neuentdeckung für
die Behandlung vieler entzündlicher und mit Vereiterungen verbundener
Krankheiten gemacht war, las man seinen Bericht, ohne dass Folgerungen
daraus gezogen wurden.
Fleming ging zur Tagesordnung über und züchtete seinen Pilzstamm
unverdrossen weiter. Er hatte das Ziel, endlich so viel von dem wertvollen
Stoffwechselprodukt Penicillin zu erhalten, dass er praktische ärztliche
Versuche damit anstellen konnte. Aber dann stellte sich heraus, dass
die in jahrelanger Züchtung gewonnene Menge nicht einmal ausreichte,
um einem einzigen Menschen zu helfen. Mitten in der Behandlung des ersten
Patienten, eines Oxforder Polizisten, der an einer hoffnungslosen Blutvergiftung
erkrankt war, ging der Arzneivorrat aus. Glückstrahlend hatte Fleming
bereits feststellen können, dass sein Penicillin schon erste
Erfolge bei dem Todgeweihten zu zeigen begann. Die Bakterien vermehrten
sich nicht mehr, die Abwehrkräfte des Körpers hatten zu erfolgreichen
Gegenangriffen angesetzt. Da aber die Behandlung mit Penicillin nicht weitergeführt
werden konnte, weil auch der letzte Rest verbraucht war, vermehrten sich
die Bakterien wieder, und der Patient starb.
Dann kam der Krieg, und mit ihm stieg das Interesse an keimtötenden
Heilmitteln gewaltig an. Man begann, sich an Flemings Schimmelpilz zu erinnern,
züchtete ihn in größerem Maßstab und studierte seine
Wirkung auf Bakterien. Es ergab sich, dass Penicillin tatsächlich
gegen 89 verschiedene Krankheitserreger wirksam war, darunter gegen Lungenentzündung
und den Erreger der Blutvergiftung. Die Kranken waren meist in kürzester
Zeit geheilt.
So trat das Penicillin nach seinen ersten langwierigen und mühsamen
Schritten einen stürmischen Siegeslauf rund um die Welt an, besonders,
nachdem es gelungen war, das bisher umständliche Gewinnungsverfahren
zu vereinfachen. Anfangs hatte man angenommen, dass sich der Penicillin-Schimmelpilz
nur an der Oberfläche von Nährböden vermehren lasse. Dann
aber fand man Stämme, die auch im Innern, in so genannten "Tauchkulturen",
gediehen. So konnte der Pilz in Riesentanks von 50000 Liter Inhalt gezüchtet
werden. Zuchtanlagen und Aufbereitungseinrichtungen, in denen aus den Nährlösungen
das eigentliche Penicillin gewonnen wird, sind heute zu riesigen Fabriken
angewachsen.
Inzwischen ist Penicillin eines der bekanntesten Medikamente der Welt
geworden. Seine Entdeckung gehört zu den folgenreichsten Ereignissen
in der Medizin unseres Jahrhunderts und regte die Auffindung zahlreicher
weiterer Antibiotika an.
Alexander Fleming, der Sohn eines schottischen Bauern, der lange als
Bote und Büroangestellter hatte arbeiten müssen, bevor ihm Stipendien
das Medizinstudium ermöglichten, wurde 1944 in den Adelsstand erhoben
und hieß seitdem Sir Alexander Fleming. Ein Jahr später wurde
er mit dem Nobelpreis geehrt.