"Der Fluss war da. Der Wasserfall sprudelte in das
ausgehöhlte Becken. Andreas sah hinunter in das klare, durch den kieselsteinernen
Grund hellfarbige Wasser und beobachtete die Forellen, die sich mit fächelnden
Flossen stetig in der Strömung hielten. Während er sie beobachtete,
änderten sie durch schnelle Wendungen ihre Stellung, nur um sich von
neuem in dem reißenden Wasser an ihrem Platz zu halten. Andreas beobachtete
sie lange Zeit." Faszination beim Blick aufs klare Wasser, Taucher kennen
diese Anziehungskraft. Und unter der Oberfläche eines Flusses hält
eine Welt der Strömung stand, die ganz anders ist als die der gewohnten
Seen. Im Gebirge, unweit der Quelle, türmen sich gigantische Felsböcke
im kristall-klaren Wasser zu bizarren Strukturen. Weiter stromabwärts
lassen sich atemberaubende Tauchgänge unternehmen, vorbei an Fischen
wie Forellen und Äschen. Unter Brücken haben sich zuweilen Zeugnisse
der Vergangenheit festgeklemmt, vom Karabiner bis zum verrosteten Drahtesel.
Und die größten Salmoniden der Welt sind ebenfalls in einem
Fluss beheimatet, die riesigen Donau-Huchen.
Gründe genug also, im Fluss unterzutauchen. Leider handelt es sich dabei nicht um ein spontanes Vergnügen. Gerade beim Flusstauchen,
Eine genauere Betrachtung gebührt dem "wo", denn
Einstiegsstellen zu Flüssen liegen oft in gottverlassenen Gegenden.
Nicht das einzige Problem bei der Ortswahl: Gebirgsbäche pflegen sich
schluchtartig ins Gestein zu graben und zuweilen einfach mehrere Meter
von Felsvorsprüngen zu fallen. Im Volksmund Wasserfall genannt. All
dies macht es nötig, nicht aufs Geradewohl loszufahren, sondern einen
geeigneten Zugang zu finden, wobei möglicherweise auch ein kurzer
Gepäckmarsch oder gar etwas Geklettere in Kauf genommen werden muss.
Von den "Kundschaftern" ist auch die Frage zu klären, wie im Falle
eines Falles ein Notruf erfolgt: Gibt es eine Telefonzelle, und wenn ja,
funktioniert sie, braucht man Karte oder Kleingeld und wie lautet die Nummer?
Oder geht man mit der Zeit und benutzt ein Handy. Ist der Akku voll und
hat die Netzabdeckung die schmale Schlucht schon erreicht?
Vor Ort erfolgt ein Briefing, flussspezifisch etwas
abgewandelt. So ist beispielsweise zu klären, wie man sich bei einer
Trennung vom Partner verhält und wie man in einer engen Felsenschlucht
auf einen Notfall reagiert, wenn der nächstmögliche Ausstieg
noch einen guten Kilometer entfernt liegt. Patentrezepte gibt es nicht,
nur eine Binsenweisheit: Wer sich die Strecke vorher genauer betrachtet,
kennt sich danach besser aus. Anzusprechen sind beim Briefing natürlich
auch eventuell angelegte Seilsicherungen.
Wer sich in einem Fluss effizient bewegen will, dem
sei geraten, sich etwas Wissen über Strömungsverhältnisse
in Fließgewässern anzueignen. In Kurzform einige Fakten: Verengt
sich der Fluss, nimmt die Strömung zu, weitet er sich, nimmt sie ab.
Ähnliches gilt für die Tiefe. Große Flüsse fließen
majestätisch dahin, kleine, flache Bäche quirlen hektisch übers
Kiesbett. An der Außenseite einer Flussbiegung hat das Wasser mehr
"Fahrt" drauf als an der Innenseite, ebenso natürlich, wenn das Gefälle
zunimmt. Und das alles ist wiederum nur ein grober Anhalt, denn Flusswasser
ist viel unberechenbarer - es quirlt, wirbelt, bildet Strudel, richtet
sich abwärts und wendet sich gegen die Hauptflussrichtung.
Letztere läst sich relativ einfach beurteilen,
mittels Beobachtung schwimmender Gegenstände oder wenn man es ganz
genau wissen will, Testschwimmen mit der ABC-Ausrüstung. Wer sich
nun von seinem Tauchgang nicht körperliche Ertüchtigung, sondern
Spaß erhofft, hat zwei Möglichkeiten:
Entweder er beginnt den Tauchgang gegen die Hauptflussrichtung
und läst sich dann zum Einstieg zurücktreiben - was im ersten
Teil immer noch eine Kraftraubende Angelegenheit und oft auch völlig
unrealistisch ist. Besser ist der natürlichen Trägheit gedient,
wenn man sich von Punkt A nach Punkt B treiben lässt - wobei der Ausstieg
genauso gründlich erkundet sein muss wie der Einstieg.
So genannte Walzen entstehen, wenn das Gefälle
plötzlich abnimmt, der Fluss also gedrosselt wird. An solchen Stellen,
tiefer als der Flussdurchschnitt, gräbt sich das Wasser in sein Bett,
fällt zunächst ab, steigt dann wieder nach oben und fällt
gegen die Flussrichtung zurück. Besonders deutlich tritt dieses Phänomen
unterhalb von Wasserfällen auf, in Becken also, die für Taucher
oft besonders reizvoll sind. Da die erwähnten Strömungsverhältnisse
den Taucher aber an der Rückkehr zur Einstiegsstelle hindern können,
ist Vorsicht geboten - eine Leine, die von einem Sicherer am Ufer gehalten
wird, kann die Nabelschnur zum Land sein.
Für den Taucher von Bedeutung sind auch Prellwände.
An solchen Stellen trifft das Wasser auf den Fels und wird abgelenkt. Dabei
unterspült es das Gestein, "frisst" sich hinein. Je tiefer solche
Mulden sind, desto größer ist die Strömung - und je größer
ist die Gefahr, dass sie den Taucher ebenso wenig loslässt wie anderes
Treibgut.
An Ausbuchtungen eines Flusses' entsteht oftmals Kehrwasser,
eine Strömung, die sich kurzfristig gegen die Hauptflussrichtung
richtet. Solche Stellen sind in der Regel ruhig und flach und daher gut
als Einstiegsstelle geeignet.
Das Leben ist kein langer, ruhiger Fluss. Ständig
muss man mit einem Anschwellen der Strömung rechnen, beispielsweise
wenn Stauseen abgelassen werden, Schneemassen Frühlingsgefühle
bekommen oder Petrus tagelang seine Schleusen öffnet. Wobei auch ein
Wolkenbruch in vielen Kilometern Entfernung den Pegelstand an der Einstiegsstelle
gefährlich ansteigen lassen kann. Dies bringt mehrere Gefahren mit
sich. Zum einen kann die hohe Wassergeschwindigkeit zum Verlust des Partners
führen. Anders als im stehender
Gewässer verschwendet man im Fluss keine Zeit
mit der Suche unter Wasser, sondern taucht sofort auf. Ist der Buddy in
Sicht, schwimmt man zu ihm und der Spaß geht weiter. Wenn nicht,
könnte ein Notfall vorliegen. Das Vorgehen in diesem Fall muss unbedingt
beim Briefing abgesprochen und der Situation vor Ort angepasst werden.
Denn wer mit einem Verletzten in einer tief eingeschnittenen, reißenden
Klamm liegt, hat ein Problem.
Um den Gefahren der Strömung zumindest teilweise
zu begegnen, greifen Flusstaucher auf Sicherungsleinen zurück, die
zum Festhalten dienen, Ein- und Ausstieg markieren und den zu betauchenden
Abschnitt begrenzen. Nun haben Seile aller Art die unangenehme Eigenschaft,
dass man sie verpassen kann. Beim Flusstauchen kann das bedeuten, dass
man plötzlich haltlos mit der Strömung einem unbekannten Ziel
entgegen schwimmt. Eine reichlich gefährliche Situation, die schon
Todesopfer gefordert hat. In diesem Fall ist wie folgt vorzugehen: Mit
Jacket und/oder Bleiabwurf für Auftrieb sorgen, auf den Rücken
legen und die in diesem Moment unwichtigsten Körperteile, die Füße,
vorantreiben lassen. Mit einer Hand sichert man dabei Automat und Maske,
während man durch die Finger
nach einer ruhigen Stelle zum Aussteigen späht.
Und noch ein Hinweis: So genanntes "Weißwasser", kabbelige Schaumkronen
also, sind für Taucher nie sicher...
Gefahren hin oder her - wer einige Grundregeln einhält
und sich von den Niagarafällen fernhält, kann das Risiko kalkulieren.
Ein Aufwand, der sich lohnt!