Flusstauchen

 

"Der Fluss war da. Der Wasserfall sprudelte in das ausgehöhlte Becken. Andreas sah hinunter in das klare, durch den kieselsteinernen Grund hellfarbige Wasser und beobachtete die Forellen, die sich mit fächelnden Flossen stetig in der Strömung hielten. Während er sie beobachtete, änderten sie durch schnelle Wendungen ihre Stellung, nur um sich von neuem in dem reißenden Wasser an ihrem Platz zu halten. Andreas beobachtete sie lange Zeit." Faszination beim Blick aufs klare Wasser, Taucher kennen diese Anziehungskraft. Und unter der Oberfläche eines Flusses hält eine Welt der Strömung stand, die ganz anders ist als die der gewohnten Seen. Im Gebirge, unweit der Quelle, türmen sich gigantische Felsböcke im kristall-klaren Wasser zu bizarren Strukturen. Weiter stromabwärts lassen sich atemberaubende Tauchgänge unternehmen, vorbei an Fischen wie Forellen und Äschen. Unter Brücken haben sich zuweilen Zeugnisse der Vergangenheit festgeklemmt, vom Karabiner bis zum verrosteten Drahtesel. Und die größten Salmoniden der Welt sind ebenfalls in einem Fluss beheimatet, die riesigen Donau-Huchen.
 

Gründe genug also, im Fluss unterzutauchen. Leider handelt es sich dabei nicht um ein spontanes Vergnügen. Gerade beim Flusstauchen, 

bei dem die Einstiegsplätze oft abgelegen liegen und die örtliche Topographie Hindernisse aufweisen kann (Wasserfälle!), steht die Planung vor dem Vergnügen. Dabei sollten die berühmten fünf "W" beantwortet werden: wer, was, wann, wo, warum. Zum "wer": Bei der Auswahl des Partners ist nicht nur darauf zu achten, dass "die Chemie stimmt", sondern auch darauf, dass der Buddy eine ausreichend große Taucherfahrung mitbringt. Ganz zu schweigen von der Frage, wer sich um Luft, Transport, Extra-Ausrüstung und das Grillfleisch kümmert. Zum "was": Welche Zusatzausrüstung ist nötig, Computer und Kompanden sind im seichten Flusswasser oft überflüssig, eine ausreichend große Portion Seil dagegen möglicherweise nötig. Zum "wann": Zu welchem Zeitpunkt soll der Tauchgang stattfinden - nachts oder tags, am frühen Morgen, um Anglern ins Geschäft zu funken, und sagt der Wetterbericht für den Tag des Geschehens Gewitter und starke Regenfälle voraus? Zum "wo": Beim Flusstauchen ein entscheidender Punkt, da nicht nur die Ein-, sondern möglicherweise auch die weit entfernte Ausstiegsstelle bestimmt und gesichert werden müssen. Zum "warum": Was hat man eigentlich vor. Einen Drift-Tauchgang über mehrere Kilometer oder mehrstündige Fotolauer in Altwassern?

Eine genauere Betrachtung gebührt dem "wo", denn Einstiegsstellen zu Flüssen liegen oft in gottverlassenen Gegenden. Nicht das einzige Problem bei der Ortswahl: Gebirgsbäche pflegen sich schluchtartig ins Gestein zu graben und zuweilen einfach mehrere Meter von Felsvorsprüngen zu fallen. Im Volksmund Wasserfall genannt. All dies macht es nötig, nicht aufs Geradewohl loszufahren, sondern einen geeigneten Zugang zu finden, wobei möglicherweise auch ein kurzer Gepäckmarsch oder gar etwas Geklettere in Kauf genommen werden muss. Von den "Kundschaftern" ist auch die Frage zu klären, wie im Falle eines Falles ein Notruf erfolgt: Gibt es eine Telefonzelle, und wenn ja, funktioniert sie, braucht man Karte oder Kleingeld und wie lautet die Nummer? Oder geht man mit der Zeit und benutzt ein Handy. Ist der Akku voll und hat die Netzabdeckung die schmale Schlucht schon erreicht?
 

Vor Ort erfolgt ein Briefing, flussspezifisch etwas abgewandelt. So ist beispielsweise zu klären, wie man sich bei einer Trennung vom Partner verhält und wie man in einer engen Felsenschlucht auf einen Notfall reagiert, wenn der nächstmögliche Ausstieg noch einen guten Kilometer entfernt liegt. Patentrezepte gibt es nicht, nur eine Binsenweisheit: Wer sich die Strecke vorher genauer betrachtet, kennt sich danach besser aus. Anzusprechen sind beim Briefing natürlich auch eventuell angelegte Seilsicherungen.
 

Wer sich in einem Fluss effizient bewegen will, dem sei geraten, sich etwas Wissen über Strömungsverhältnisse in Fließgewässern anzueignen. In Kurzform einige Fakten: Verengt sich der Fluss, nimmt die Strömung zu, weitet er sich, nimmt sie ab. Ähnliches gilt für die Tiefe. Große Flüsse fließen majestätisch dahin, kleine, flache Bäche quirlen hektisch übers Kiesbett. An der Außenseite einer Flussbiegung hat das Wasser mehr "Fahrt" drauf als an der Innenseite, ebenso natürlich, wenn das Gefälle zunimmt. Und das alles ist wiederum nur ein grober Anhalt, denn Flusswasser ist viel unberechenbarer - es quirlt, wirbelt, bildet Strudel, richtet sich abwärts und wendet sich gegen die Hauptflussrichtung.
 

Letztere läst sich relativ einfach beurteilen, mittels Beobachtung schwimmender Gegenstände oder wenn man es ganz genau wissen will, Testschwimmen mit der ABC-Ausrüstung. Wer sich nun von seinem Tauchgang nicht körperliche Ertüchtigung, sondern Spaß erhofft, hat zwei Möglichkeiten:
 

Entweder er beginnt den Tauchgang gegen die Hauptflussrichtung und läst sich dann zum Einstieg zurücktreiben - was im ersten Teil immer noch eine Kraftraubende Angelegenheit und oft auch völlig unrealistisch ist. Besser ist der natürlichen Trägheit gedient, wenn man sich von Punkt A nach Punkt B treiben lässt - wobei der Ausstieg genauso gründlich erkundet sein muss wie der Einstieg.
 

So genannte Walzen entstehen, wenn das Gefälle plötzlich abnimmt, der Fluss also gedrosselt wird. An solchen Stellen, tiefer als der Flussdurchschnitt, gräbt sich das Wasser in sein Bett, fällt zunächst ab, steigt dann wieder nach oben und fällt gegen die Flussrichtung zurück. Besonders deutlich tritt dieses Phänomen unterhalb von Wasserfällen auf, in Becken also, die für Taucher oft besonders reizvoll sind. Da die erwähnten Strömungsverhältnisse den Taucher aber an der Rückkehr zur Einstiegsstelle hindern können, ist Vorsicht geboten - eine Leine, die von einem Sicherer am Ufer gehalten wird, kann die Nabelschnur zum Land sein.
 

Für den Taucher von Bedeutung sind auch Prellwände. An solchen Stellen trifft das Wasser auf den Fels und wird abgelenkt. Dabei unterspült es das Gestein, "frisst" sich hinein. Je tiefer solche Mulden sind, desto größer ist die Strömung - und je größer ist die Gefahr, dass sie den Taucher ebenso wenig loslässt wie anderes Treibgut.
 

An Ausbuchtungen eines Flusses' entsteht oftmals Kehrwasser, eine Strömung, die sich kurzfristig gegen die Hauptflussrichtung richtet. Solche Stellen sind in der Regel ruhig und flach und daher gut als Einstiegsstelle geeignet.
 

Das Leben ist kein langer, ruhiger Fluss. Ständig muss man mit einem Anschwellen der Strömung rechnen, beispielsweise wenn Stauseen abgelassen werden, Schneemassen Frühlingsgefühle bekommen oder Petrus tagelang seine Schleusen öffnet. Wobei auch ein Wolkenbruch in vielen Kilometern Entfernung den Pegelstand an der Einstiegsstelle gefährlich ansteigen lassen kann. Dies bringt mehrere Gefahren mit sich. Zum einen kann die hohe Wassergeschwindigkeit zum Verlust des Partners führen. Anders als im stehender
 

Gewässer verschwendet man im Fluss keine Zeit mit der Suche unter Wasser, sondern taucht sofort auf. Ist der Buddy in Sicht, schwimmt man zu ihm und der Spaß geht weiter. Wenn nicht, könnte ein Notfall vorliegen. Das Vorgehen in diesem Fall muss unbedingt beim Briefing abgesprochen und der Situation vor Ort angepasst werden. Denn wer mit einem Verletzten in einer tief eingeschnittenen, reißenden Klamm liegt, hat ein Problem.
 

Um den Gefahren der Strömung zumindest teilweise zu begegnen, greifen Flusstaucher auf Sicherungsleinen zurück, die zum Festhalten dienen, Ein- und Ausstieg markieren und den zu betauchenden Abschnitt begrenzen. Nun haben Seile aller Art die unangenehme Eigenschaft, dass man sie verpassen kann. Beim Flusstauchen kann das bedeuten, dass man plötzlich haltlos mit der Strömung einem unbekannten Ziel entgegen schwimmt. Eine reichlich gefährliche Situation, die schon Todesopfer gefordert hat. In diesem Fall ist wie folgt vorzugehen: Mit Jacket und/oder Bleiabwurf für Auftrieb sorgen, auf den Rücken legen und die in diesem Moment unwichtigsten Körperteile, die Füße, vorantreiben lassen. Mit einer Hand sichert man dabei Automat und Maske, während man durch die Finger
 

nach einer ruhigen Stelle zum Aussteigen späht. Und noch ein Hinweis: So genanntes "Weißwasser", kabbelige Schaumkronen also, sind für Taucher nie sicher...
 

Gefahren hin oder her - wer einige Grundregeln einhält und sich von den Niagarafällen fernhält, kann das Risiko kalkulieren. Ein Aufwand, der sich lohnt!
 

Zurück