Als er 1473 geboren wurde, lebte die Welt noch in der aus der Antike
übernommenen Vorstellung, nach der die als flache Scheibe gedachte
Erde der Mittelpunkt des Weltalls sei, um den die Sonne, der Mond und die
Planeten in ewigem Umlauf kreisten. Als er 1543 starb, hinterließ
er mit seinem Werk "De revolutionibus orbium coelestium" den Entwurf eines
Weltsystems, das nicht nur mit den Irrtümern der ptolemäischen
Lehre aufräumte, sondern das zum Ausgangspunkt aller Erkenntnisse
wurde, die wir heute von der Struktur des Universums und von seinen bewegenden
Kräften besitzen.
In Thorn geboren, begann er 1491 an der Universität Krakau
humanistische, mathematische und astronomische Studien, die er von 1496
bis 1500 an der Universität Bologna fortsetzte. Neben der Beschäftigung
mit weltlichem und geistlichem Recht widmete er sich der Astronomie. Nach
kurzem Aufenthalt in Rom nahm er 1501 seine Studien in Padua und Ferrara
wieder auf. Am 31. Mai 1503 promovierte er als Doktor des Kirchenrechts.
1506 kehrte er in seine Heimat zurück und lebte sechs Jahre lang als
Mitarbeiter seines Onkels Lukas Watzelrode, des Bischofs von Ermland, in
dessen Schloß zu Heilsberg. Ab 1512 weilte Kopernikus in Frauenburg,
von wo er sich 1516 nach Allenstein begab, um dort bis 1521 den Grundbesitz
des Domstifts zu verwalten. 1523 wurde er zum Generaladministrator der
Diözese (Amts Gebiet eines katholischen Bischoffs) ein berufen. Aber
sein großes Lebensziel, die Rätsel des Himmels zu lösen,
verfolgte er unentwegt weiter, bis er am 24. Mai 1543 in Frauenburg starb.
Beim Studium alter Schriften hatte er entdeckt, daß schon im 3. Jahrhundert
v. Chr. griechische Philosophen vermutet hatten, die Erde sei kugelförmig
und drehe sich um sich selbst. Ihre Auffassung fand wenig Beachtung, zumal
sie im Widerspruch stand mit der Lehre des Aristoteles, dessen Thesen noch
das ganze Mittelalter hindurch als unfehlbar galten. Noch schwerer aber
wog, daß die Bibel den Standort der Erde eindeutig auf den Mittelpunkt
des gesamten Kosmos festgelegt hatte, ein Dogma (religiöse Richtschnur),
an dem die Kirche nicht rütteln lassen wollte.
Kopernikus wußte, welche Widerstände er und seine Erkenntnisse
von seinen Zeitgenossen zu erwarten hatten. Obwohl sein Weltbild wohl schon
im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts feststand, zögerte er mit der
Herausgabe, und erst kurz vor seinem Tod gab er dem Drängen seiner
Freunde nach, das langgehegte Werk drucken und veröffentlichen zu
lassen. Der Tod war schneller, er erlebte das Erscheinen der Bücher
nicht mehr.
Aber sein Werk war da und sollte die Welt verändern. Sein Inhalt:
Das heliozentrische Weltsystem. Darin ist nicht mehr die Erde der zentrale
Punkt des Weltalls, sondern die Sonne. Sie ist das Zentralgestirn eines
gewaltigen Planeten Systems, in dem die Erde ein Planet ist wie alle andern.
In diesem Weltsystem sind alle Himmelserscheinungen, die zuvor manches
Rätsel aufgaben, geklärt: der Wechsel von Tag und Nacht, die
Zu- und Abnahme des Mondes, Sonnen- und Mondfinsternisse und die Bewegung
der Planeten.
Das alles mag in unserer Zeit als eine Reihe von Binsenweisheiten erscheinen,
damals war es eine Revolution des Weltbildes und der Weltanschauung. Freilich
nicht von heute auf morgen.
Das lateinisch geschriebene Werk war nur Mathematikern verständlich
und wurde daher zunächst nur in einem kleinen Kreis von Experten diskutiert.
Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurde den Scholastikern (spitzfindiger
Mensch), die unbeirrt am ptolemäischen Weltsystem festhielten, der
umstürzlerische Charakter der neuen Lehre bewußt. Die Diskussion
verlagerte sich vom mathematischen auf das Gebiet von Religion und Philosophie.
Die katholische Kirche zögerte noch mit der Verurteilung, während
sich die Protestanten bald ablehnend einstellten. "Der Narr will mir die
ganze Kunst Astronomia umkehren! Aber wie die Heilige Schrift zeigt, hieß
Josua die Sonne still stehen und nicht die Erde", rief Luther empört
aus. Allmählich aber setzten sich die Gegner auch in der katholischen
Kirche durch, und 1616 wurde die Lehre des Kopernikus auf den Index der
für gläubige Katholiken verbotenen Bücher gesetzt.
Giordano Bruno war schon 1600 in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt
worden, weil er sich zur kopernikanischen Lehre bekannte. Nicht behelligt
wurde dagegen der Astronom Johannes Kepler (1571 bis 1630), der zwischen
1609 und 1616 die Gesetze der Planetenbewegung erkannte (Keplersche Gesetze).
Damit untermauerte er das kopernikanische Weltsystem, stellte aber auch
fest, daß sich die Planeten nicht in regelmäßigen Kreisen,
wie Kopernikus annahm, sondern in elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen.
Galileo Galilei (i 564 bis 1642), der Entdecker der Fallgesetze, blickte
als erster durch ein Fernrohr zum Himmel und fand weitere Beweise für
die Richtigkeit der kopernikanischen Lehre. Das wurde ihm zum Verhängnis:
Da er nicht schweigen wollte, zwang ihn 1633 das Inquisitionstribunal unter
Androhung der Folter zum Abschwören seines kopernikanischen "Irrglaubens".
Erbittert wurde der Streit zwischen den Vertretern des
aristotelisch-ptolemäischen Systems und den Anhängern der kopernikanischen
Lehre von Gelehrten, Klerikern und Laien ausgefochten. Aber als im Jahre
1835 das Werk vom Index der ketzerischen Bücher gestrichen wurde,
hatte seine Wahrheit längst in aller Welt gesiegt und war zum tragenden
Fundament all unseres Wissens um das Weltall geworden.