Selten hat ein Mensch eine so große und nicht mehr messbare
Wirkung auf die Welt gehabt wie Justus von Liebig. Er hat sie größer gemacht,
fruchtbarer, erntenreicher. Ohne seine Erkenntnisse über die chemische
Düngung könnte heute mehr als die Hälfte der Menschheit
nicht existieren.
Er hatte schon als Knabe mit den Drogen und Chemikalien experimentiert,
die der Vater in seiner Materialienhandlung verkaufte. Als er dann eines
Tages einem fahrenden Wundermann auf dem Jahrmarkt die Herstellung des
Knallsilbers absah und versuchte, das explodierende Zeug selbst herzustellen,
hätte er um ein Haar die Schule, in der er den Versuch zum Gaudium
der Mitschüler veranstaltete, in die Luft gesprengt. Statt dessen
flog er von der Schule, worüber er allerdings nicht unglücklich
war. Er konnte dem langweiligen Latein nichts abgewinnen. Die gleiche Explosion
ereignete sich auch, als er danach zu einem Apotheker in die Lehre kam:
wieder knallte es und flog der Lehrling Liebig an die Luft.
Zum Glück hatte er einen einsichtigen Vater, der ihn jetzt auf
die Universität Bonn schickte (was damals auch ohne Abitur noch möglich
war). Er wollte Chemie studieren, eine noch in den Anfängen steckende
Wissenschaft. Und da er Gönner fand, die sein Genie erkannten, darunter
der Großherzog von Hessen, schickte man ihn drei Jahre später
zur Vollendung seiner Studien nach Paris, in das Zentrum der Naturwissenschaften.
Hier knallte das Knallsilber zum dritten Mal, allerdings in geregelten
chemischen Experimenten, die der Student Liebig zusammen mit dem berühmten
Professor Gay-Lussac durchführte. Als Gay-Lussac die Ergebnisse dieser
Arbeiten vor der Akademie der Wissenschaften selbst vortrug, lernte Liebig
den nicht weniger berühmten Alexander von Humboldt kennen, der dem
Großherzog von Hessen alsbald schrieb, er solle diesen jungen Mann
so schnell wie möglich zum Professor ernennen: "Er wird dem Vaterlande
Ehre machen!" Mit 21 Jahren wurde Liebig tatsächlich Professor in
Gießen.
Damit beginnt eine Tätigkeit, die die großartigsten Folgen
hatte. Liebig baute das erste chemische Laboratorium für Studenten
auf, also für Lehr- und Ausbildungszwecke, das bald die besten Chemiker
aus der ganzen Welt nach Gießen zog. Nach und nach trat dieses kleine
Gießen an die Stelle von Paris und wurde der Mittelpunkt des chemischen
Fortschritts. Dreißig Nobelpreisträger haben bei Liebig studiert
und seinen Ruhm begründet, der erste Chemiker der Zeit zu sein. Wenig
später besaß Deutschland die größten und bedeutendsten
Chemiewerke der Welt.
Es ist unmöglich, alles aufzuzählen, was Liebig entdeckt,
geschaffen, aufgebaut hat. So wurde in seinem Laboratorium das Chloroform
entwickelt, das als Narkosemittel der Chirurgie ganz neue Wege eröffnete.
Etwas gänzlich anderes war der schnell weltberühmt gewordene
Fleischextrakt, der andeutet, wie sehr Liebig auch an die praktische Anwendung
der neuen chemischen Erkenntnisse dachte. Der Namenszug auf den kleinen
gelb-roten Fleischextrakt-Dosen wurde weltbekannt.
Die wichtigste und folgenreichste Entdeckung Liebigs war jedoch in
folgendem Satz enthalten, den er 1840 niederschrieb:
"Den Menschen und Tieren bieten pflanzliche Organismen, also organische
Verbindungen, die Mittel zu ihrer Ernährung und Erhaltung. Die Quellen
der Nahrung der Pflanzen liefert dagegen ausschließlich die anorganische
Natur. "Uns heute ist selbstverständlich, dass man dem Ackerboden
die Stoffe zurückgeben muss, die ihm die Pflanzen entziehen.
Zu Zeiten Liebigs glaubte man jedoch noch, dass lediglich Humus und
Stalldung die
Nahrungsquellen der Pflanzen seien. Die Bauern lachten über den
chemischen Dünger des Professors, der sich in Sachen mischen wollte,
von denen er nichts verstand.
Es kam zu einem jahrelangen Krieg zwischen Anhängern der Mineraldüngung
und den "Humisten". Auch Rückschläge gab es. Den schlimmsten
hatte Liebig selbst verursacht. Er war des Glaubens gewesen, Regen wüsche
im Boden Kalisalze aus. Daher hatte er für seinen "Patentdünger"
besondere Verbindungen entwickelt, die unlöslich waren. Gerade das
aber war falsch. Die Pflanzen vermochten unlösliche Verbindungen nicht
aufzunehmen, Liebigs Vorschläge waren also offensichtlich unbrauchbar.
Als er allerdings nach einigen Jahren diesen Irrtum erkannte - er fand
heraus, dass die Ackerkrume die zur Ernährung der Pflanze nötigen
Stoffe anzuziehen und festzuhalten vermag -, konnte nichts mehr den Siegeszug
der künstlichen Düngung aufhalten. Liebig hatte gegen Ende seines
Lebens viele Ehrungen erfahren. 1845 wurde er geadelt, 1851 verlieh ihm
Preußen den Orden "Pour le Merite", 1852 wurde er vom König
von Bayern nach München berufen. Auch das Ausland, besonders England,
überhäufte ihn mit Ehrenbürgerschaften und Orden. Seine
schönste Ehrung widerfuhr ihm jedoch von der "Versammlung der deutschen
Land- und Forstleute", die ihm 1869, vier Jahre vor seinem Tod, durch die
Stiftung der Liebig-Medaille die endliche Anerkennung seiner wissenschaftlichen
Arbeit zollte: Nämlich dass er die Basis dafür geschaffen
hatte, die Ernteerträge des Bodens zu verdoppeln, zu verdrei-, zu
vervielfachen. Eine sehr nüchterne Angelegenheit! Aber ein Professor
der Chemie hatte damit mehr vollbracht als hundert Generale und Staatsmänner
seiner Zeit: Er hatte nichts zerstört, aber Millionen von Menschen
Brot gebracht.