Nachttauchen
Der ideale Nachttauchplatz ist wie folgt beschaffen.
Er ist nicht tief und er ist dem Taucher von früheren Ausflügen
wohlbekannt. In der Nähe befindet sich ein funktionierendes Telefon.
Er verfügt über eine bequeme, beleuchtete Einstiegsstelle und
er bietet dem Taucher trotz schummriger Dunkelheit eine ausreichend gute
Sicht auf die Reize der Umgebung. Skeptiker können nun einwenden,
dass solche Plätze außerhalb der heimischen Badewanne spärlich
gesät sind, und damit haben sie nicht ganz unrecht. Dennoch, die konkrete
Planung eines Nachttauchgangs fängt mit der Auswahl des Tauchplatzes
an. Wer seine Wahl mit Bedacht trifft, schaltet von vornherein einige Gefahrenquellen
aus. Helligkeit ist naturgemäß von Vorteil, denn niemand stolpert
gern im Trocki und voller Montur über eine Waldwurzel, tastet im dunklen
Gebüsch nach einem schwarzen Handschuh oder fischt nach einer vom
Schlauchboot gefallene dunkelblauen Flosse.
Ganz davon abgesehen, dass im Falle eines Unfalls
die Erste Hilfe und die Einleitung der Rettungskette bedeutend leichter
fallen und Panik später auftritt. Wer keinen beleuchteten Parkplatz
als Einstiegsstelle gefunden hat, muss selbst für die Festbeleuchtung
sorgen. Für den Fall eines Unfalls sollte ein Telefon in greifbarer
Nähe vorhanden sein. Wenn es sich um eine öffentliche Telefonzelle
handelt, sollte man sich vor dem Tauchgang vergewissern, dass die Jugend
aus dem Ort nebenan nicht ihren Frust an ihr ausgelassen hat. Und wenn
man auf das Handy im Handschuhfach setzt, dann sollte man wissen, dass
in punkto des Akku-Ladezustand und Service-Anbindung Kontrolle besser ist
als Vertrauen. Zudem ist ein Telefon ohne die nötige Notrufnummer
ungefähr so nützlich, wie eine Taucherlampe ohne Batterien. Die
Rufnummern des nächsten Krankenhauses oder der nächsten Druckkammer
gehören also ins mitgeführte Notizbuch oder in den Handy-Speicher.
Ein weiteres Kriterium bei der Tauchplatz-Wahl ist
die Tiefe. Bei einem Nachttauchgang sollte man nie den Boden unter den
Flossen verlieren Steilwände und Freiwasser Abstiege sind eher ungeeignet,
da ist schnell nach unten durchgesackt, wer gleichzeitig mit Lampe, Computer
und Inflator hantieren muss. Bei aller Wichtigkeit gekonnten Tarierens,
in Solchen Situation kann es hilfreich sein sich einfach mal den Schlick
zusetzen. Über wie Unwasser ist es hilfreich. wenn man den Tauchplatz
von früheren Unternehmungen bereits kennen gelernt hat. Das erleichtert
besonders während des Tauchgange die Orientierung. bitte nötig,
denn des
nächtens
tappt man naturgemäß leicht im Dunkeln, Soll heißen, dass
die gewohnte Orientierung anhand markanter Geländepunkte nun bedeutend
schwerer fällt, denn das Sichtfeld beschränkt sich auf den Kegel
der Tauchlampe. Die Natur weist also höchstens per Boden Unebenheiten,
Mondschein, konstante Strömung oder Riffkanten den Weg. Wo das nicht
mehr ausreicht, greift der Mensch zur Technik. Genauer gesagt zum Kompass,
der unbestechlich den Kurs vorgibt - solange ihn keine Metallmassen in
der Nähe ablenken, solange er nachleuchtet und solange sein Benutzer
mit den Zahlenkreisen an der Kompassrose umzugehen weiß. Zusätzlich
sollte man auch unter Wasser Lampen, Leuchtstäbe oder UW-Blitze an
der Einstiegestelle anbringen, die nach denn "Prinzip Leuchtturm" den verlorenen
Seelen in der Dunkelheit leuchten. Weithin auffällig sind blinkende
Lichter, die aber nur unter Wasser ein probates Mittel darstellen, denn
an der Oberfläche gelten sie als Notsignal. Solcherart ausgerüstet
lassen sich häufige Abstecher zur Oberfläche zwecks Positionsbestimmung
vermeiden - was nicht nur der Bequemlichkeit, sondern auch der Sicherheit
dient, denn die vielzitierten Jojo-Tauchgänge bergen bekanntlich eine
gesteigerte Deko-Unfallgefahr.
Bei einem "normalen" Tauchgang am helllichten Tage
kann das Briefing kurz und bündig ausfallen - und tut es in der Regel
auch. Nachts ist die "Tagesordnung" umfangreicher. Der Grund: Viele Verhaltensweisen
unter Wasser, die sonst schon in Fleisch und Blut übergegangen sind,
müssen nun variiert und einzeln abgehakt werden. Das gilt vor allem
für die Kommunikation, sprich für die UW-Zeichen. Dabei gibt
es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Zum einen kann man Zeichen
mit der Lampe geben, sie kreisen, auf und ab oder quer schwenken. Ein weltweit
übliches, aber nur beschränkt taugliches Mittel, denn UW-Lampen
kreisen oder schwenken beim Tauchgang ohnehin. Besser ist es, auf nicht
zu großen Abstand zu achten und die bekannten UW-Zeichen mit der
Hand im Schein der Lampe zu geben.
Zu klären ist auch das Verhalten beim Verlust der Gruppe oder des
Tauchpartners. Auf plötzliche "Vereinsamung" reagiert der Nachtschwärmer
am besten mit einem kurzen Rundumblick und mit anschließendem Auftauchen-
kein Problem, denn nachts verbieten sich nicht nur Deko- sondern auch Eis-
und Höhlentauchgänge. Auch die anderen Punkte des Briefings gewinnen
in der Nacht an Bedeutung: Begrenzung von Tauchtiefe und –zeit, die Einteilung
in kleine Gruppen, das Verhalten bei Lichtausfall, das Abfragen des Erfahrungsstands,
Einsstiegsstelle, Bezugspunkte beim Abtauchen etc.
Und noch etwas darf nachts nicht so stark vernachlässigt
werden, wie es tagsüber gemeinhin geschieht: der Partnercheck Denn
die Bedienung der Ausrüstung muss "wie im Schlaf“ sitzen - und nicht
nur das Handling der eigenen, sondern auch der des Buddies, denn für
ein akademisches Studium des Fremdinflators ist im Falle einer Bergung
aus einer Notsituation keine Zeit.
Während des Tauchgang sorgt das schummrige
Licht für menschliche Nähe. Um sich nicht zu verlieren und um
kommunizieren zu können, sollte man je nach Sichtweite nahe beieinander
tauchen - übervorsichtige Gesellen verbinden sich sogar mit einer
Buddy-Leine, was aber erstens angesichts der gefahrlosen Tauchstelle nicht
nur überflüssig ist und den Spaß am Tauchgang verleidet,
sondern auch wahrsten Wortsinn zu Verwicklungen führen kann.
Wie im täglichen Leben, folgt bei einem Nachttauchgang
auf die Arbeit das Vergnügen. Wer Lampen geladen, eine Einstiegsstelle
gewählt und beleuchtet und ein umfangreiches Briefing durchgeführt
hat, kann sich den Dingen widmen, wegen denen er den ganzen Aufwand in
Kauf genommen hat. Denn das Nachtleben unter Wasser ist atemberaubend -
die Dämmerung deckt den Tisch für allerhand lichtscheue Gesellen:
ganze Korallengärten blühen in leuchtenden Farben, Federsterne
breiten ihre Arme auf der Jagd nach Plankton aus und nachtaktive Jäger
verlassen ihre Höhlen. Im Süßwasser nimmt der Hecht die
Pirsch auf und die Schleie zieht grundelnde Bahnen durch den Schlick. Andere
Fische begeben sich zur Ruhe und schützen sich mit ausgefeilten Tricks,
sowie der Papageienfisch der sich mit seinem Schleimschlafsack unsichtbar
macht. Und wieder andere Wesen leuchten selbst per Biolumineszenz, einer
chemischen Reaktion, bei der Energie als Licht abgegeben wird, sei es zum
Verscheuchen von Feinden, zur Kommunikation mit Artgenossen oder zum Anlocken
von Opfern. Dabei entsteht kaum Wärme, weshalb Wissenschaftler von
einem "kalten Leuchten" Sprechen.
Gründe genug, die schwierige Suche nach einem
geeigneten Nachttauchplatz aufzunehmen - auch wenn sie noch so umständlich
sein kann.
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