Tieftauchen
„Vernünftige„ Taucher rümpfen
übers Tieftauchen gern die Nase, zu gefährlich, zu aufwendig,
zu uninteressant. Dennoch zieht es jeden Taucher über kurz oder lang
unter die 40-Meter-Marke, und irgendwann hat auch der erhobene Zeigefinger
der Nullzeit-Ideologen ausgedient. Dabei ist Tieftauchen unbestritten ein
gefährliches Unterfangen.
"Was soll ich da unten? Die interessantesten
Bereiche sind doch oberhalb der 20-Meter-Marke!" Solche Bemerkungen stimmen
- solange man Lichtdurchflutete Riffe meint. Sie stimmen aber nicht, wenn
das Ziel des Tauchgangs ein Wrack ist, das sich entschieden hat, tiefer
zu sinken. Oder eine Höhle, bei deren erdgeschichtlicher Entstehung
die Befindsamkeit von Pressluftatmern ebenfalls keine Rolle spielte. Oder
Großfische. Oder spektakuläre Gesteinsformationen an Steilwänden.
Oder... Es gibt viele Gründe, seine taucherischen Erfahrungen zu vertiefen.
Doch was ist ein "Tieftauchgang"? Viele Verbände beantworten diese
Frage mit der 40-Meter-Marke. Der PADI-Divemaster-Manual gibt die Grenze
zum Tieftauchgang gar bei 60 Fuß, also rund 20 Metern, an. Die Wahrheit
ist vielschichtiger, denn 40 Meter sind nicht gleich 40 Meter - im Gegensatz
zu lichten Regionen im Roten Meer potenzieren sich viele Gefahrenquellen
in einem dunklen, kalten Bergsee. Bei Helligkeit und Wärme können
50 Meter unter Umständen keinerlei Probleme bereiten, bei Kälte,
Dunkelheit und Strömung können 20 Meter schon zuviel sein, und
beim dritten Wiederholungstauchgang des Tages kann man sich auch auf 15
Meter Tiefe ruckartig eine Dekopause aufbrummen.
Luftmanagement
Eine der Hauptgefahren eines Tieftauchgangs
liegt darin, dass Dekopausen nötig werden. Der Körper braucht
Zeit, um die während des Tauchgangs entstandenen Stickstoffbläschen
abzuatmen, die sonst zu ernsten Schäden führen können. Dies
macht einen Notaufstieg zu einer ungesunden Angelegenheit: Zum einen kann
die plötzliche Druckabnahme zu Rissen in den Lungenflügeln führen,
was auch lebensgefährlich ist. Und zum anderen tummeln sich die eben
erwähnten Stickstoffbläschen an Stellen des Körpers, an
denen er sie partout nicht gebrauchen kann. Die Dekopflicht macht umfangreiche
Vorbereitungen nötig: Vor dem Tauchgang müssen mittels Computer
oder Tabelle die Dekostufen ermittelt und der Gesamtluftverbrauch berechnet
werden
Außerdem sollte man sich bereits
im Vorfeld darüber klar werden, unter welchen Umständen man seine
Dekopause absitzen muss und welche vorbereitenden Maßnahmen dies
erfordert. Sollte ein ufernaher Flachwasserbereich vorhanden sein, kann
man ganz gemütlich austauchen. Sollte man aber im Freiwasser dekomprimieren
müssen, ist ein Haltepunkt mehr als angenehm, zumal wenn noch Strömung
dazukommt. Mindestens ein Seil an einer Boje oder "Dekowurst", Idealerweise
eine "Dekostange" mitsamt angebrachter Reserveflasche. Bei Abstiegen im
Freiwasser ist ohnehin eine Leine hilfreich, die bis zur Maximaltiefe reicht,
sie hilft bei der Orientierung und erleichtert das Abschätzen der
Sinkgeschwindigkeit.
Nächste Gefahrenquelle auf der
langen Liste der Tieftauch-Risiken ist der berühmt-berüchtigte
Tiefenrausch. Nervenfunktionsstörungen durch den in der Tiefe erhöhten
Stickstoff-Partialdruck (auch Inertgas- oder Stickstoff-Narkose genannt).
Die Symptome sind denen eines "echten" Rauschs nicht unähnlich, und
sie schwanken je nach Konstitution, Tagesform und Gewöhnung des Tauchers.
Ab 30 Meter treten sie bei Pressluftatmung auf, spätestens bei 60
Meter sind sie da. Beginnend von metallischem Geschmack im Mund, Röhrensehen
und Euphorie über eingeschränkte Kritik- und Konzentrationsfähigkeit
bis hin zu Handlungsunfähigkeit, Orientierungsverlust und Bewusstlosigkeit.
Unter Wasser ein lebensgefährlicher Zustand.
Die beste Maßnahme gegen den
Tiefenrausch ist, die Tiefen eines Tauchgangs so zu setzen, dass danach
kein Kater ins Haus steht. Durch vorbereitende Maßnahmen lässt
sich der Rausch gleichfalls etwas zurückdrängen.
Der Taucher sollte ausgeruht und ausreichend
kälteisoliert ins Wasser gehen, nicht unter Alkohol-, Drogen- oder
Medikamenteneinfluss stehen und Faktoren wie Stress, Angst, Erschöpfung,
Kälte und Dunkelheit meiden. Zudem sollte man während des Tauchgangs
stets in sich "hineinhorchen", auf der Suche nach eventuellen Tiefenrausch-Symptome.
Sollten solche auftauchen, da hilft nur eins: husch, husch in lichtere
Bereiche! Gleichfalls wird das Risiko dadurch verringert, das man den Partner
mit Argusaugen beobachtet. Sollte der orientierungslos wirken, auf UW-Zeichen
nicht mehr angemessen reagieren oder schwimmen wie eine schwangere Auster,
dann sollte man ihn schleunigst ein paar Stockwerke höher fahren.
In der Tiefe sollte man daher stets dicht beisammen bleiben. Mit dem Tiefenrausch
ist die Liste der Tieftauch-Gefahren leider nicht zu ende. Der sonst so
segensreiche Sauerstoff hat die unangenehme Eigenschaft, ab einem Teildruck
von 1,6 bar giftig zu werden. Bei Pressluftatmern entspricht das die Tiefe
von rund 70 Metern. Die Symptome: Gesichtszucken, Röhrensehen, metallischer
Geschmack der Atemluft, Krampfanfälle. Besonders Gefährlich:
Panik unter Wasser, ist unter Umständen tödlich.
Weiter in der Liste: die Kohlendioxidvergiftung.
Durch einen erhöhten Kohlendioxid-Anteil im Blut steigt die Atemfrequenz,
Atemnot, Angstzustände, Panik und Benommenheit bis zur Bewusstlosigkeit
folgen. Und soweit nur die rein körperlichen Risiken. Denn auch für
die Seele ist ein Tieftauchgang ein Härtetest. Kälte, Dunkelheit
und Angst fördern Tiefenrausch und Panik. Der gleiche Taucher, der
im hellen, warmen Karibikwasser auf 50 Meter stocknüchtern seinen
Tauchgang genießt, kann in der Finsternis und Kälte des Starnberger
Sees auf der gleichen Tiefe bereits handlungsunfähig sein. Und auch
gegen diese "Gefahren im Kopf" ist nur ein Kraut gewachsen. Die Tiefen
bescheiden setzen und einen geeigneten Tauchplatz wählen. Am besten
einen schon bekannten, mit Wohlvertrauten Bedingungen und ohne besondere
Erschwernisse.
Wer jetzt meint, mit Blasenproblemen,
Vollrausch, Gift und Seelenknacks wäre die Gefahren-Liste zu Ende,
hat sich zu früh gefreut. Denn neben dem Taucher muss ja noch seine
Ausrüstung mit hinunter - und die ist bei hohem Druck härteren
Herausforderungen ausgesetzt als sonst, vor allem, wenn es auch noch kalt
ist. Dies gilt besonders für den Atemregler. Mit der höheren
Dichte der Atemluft steigt der Luftdurchsatz und im Verbund mit Kälte
die Gefahr der Vereisung.
Gas-Cocktalls
Wegen all dieser Gefahren tüfteln
findige Geister an Mittel und Wegen, sicherer weiter „runter“ zu kommen.
Dabei läuft die Entwicklung in Richtung auf die Verwendung von Gasgemischen.
Dummerweise beißt sich dabei die Katze in den Schwanz: Senkt man
den Anteil eines Gases an der Atemluft und somit seine unerwünschten
Nebenwirkungen, muss man einen anderen erhöhen oder ein neues hinzufügen
- und somit dessen Nachteile schlucken. Die einfachste Variante ist das
Nitrox.
Dabei wird der Sauerstoffanteil auf Kosten des Stickstoffs erhöht.
Mit der Folge, dass die Nullzeiten länger werden und der Tiefenrausch
später auftritt. Leider hat die Sache einen Haken.
Wie schon erwähnt, wird Sauerstoff
ab einem Teildruck von 1,6 bar giftig, und somit nimmt die Maximaltiefe
eines Gemisches mit der Erhöhung des Sauerstoff-Anteils ab. Kein Freibrief
nach „unten“ also. Alsdann, versuchten die Tüftler, den großen
Sündenbock Stickstoff zurückzudrängen, ohne den kleinen
Sündenbock Sauerstoff zu erhöhen.
Das Mittel:
Mit der Beigabe des Edelgases Helium
entstand Heliox. Das Schöne am Helium ist, dass es kaum narkotisierende
Wirkung hat und man somit erst weit tiefer besoffen wird. Und auch den
Sauerstoffanteil kann man zurückschrauben, sodass Tiefen von über
200 Metern tatsächlich in greifbare Nähe rücken. Dummerweise
hat auch Helium bei raschen Abstiegen einen Nachteil: das High-Pressure-Nervous-Syndrom
(HPNS), eine Nerven-Überreizung mit Symptomen vom Augenflimmern bis
zu starken Muskelkrämpfen, in großen Tiefen lebensbedrohlich.
Dieses Dilemma führte zu Rückkehr
eines alten Bekannten, des Stickstoffs. Das Resultat heißt Trimix,
ein Bund aus Sauerstoff, Helium und eben Stickstoff. Was auf den ersten
Blick paradox erscheint, hat doch Methode. Die narkotisierende Wirkung
des Stickstoffs soll der HPNS-Überreizung entgegenwirken. Was natürlich
dazu führte, dass mit dem Stickstoff auch seine Nebenwirkungen wieder
ins Spiel kamen. Mittlerweile sind die Tüftler einen Schritt weiter:
Beim Hydreliox wird Wasserstoff anstelle von Stickstoff verwendet. Vorteil
dabei: Die narkotische Wirkung des Wasserstoffs wirkt dem HPNS entgegen,
doch er bewirkt keine Zunahme der Dichte. Allerdings hat die Sache einen
Haken. Zum einen lässt sich das HPNS durch narkotische Gase nicht
grenzenlos eindämmen. Und zum anderen ist der technische Aufwand immens,
da wegen Explosionsgefahr eine Mischung mit dem Sauerstoff verhindert werden
muss (Knallgas!). Kein Ende der Gefahr also.
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